Wahrscheinlich nur eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Der Blick in die Wetter-App ließ am Vormittag noch einen trockenen Abend erwarten ... Nun sieht es tatsächlich nach Gewitter aus. Und genau über der Bühne wird der bisher blaue Himmel von einer grauen Wolke überzogen.
Wir verdrängen aber diese Anzeichen und freuen uns auf William Shakespeares Drama „Romeo and Juliet“, das unter der Regie Paul Stebbings‘ von der American Drama Group Europe im wunderschönen Park von Schloss Dyck an diesem (bisher!) sonnigen Septemberabend aufgeführt wird. Im Unterricht des Grundkurses Englisch im fünften Semester behandeln wir laut Lehrplan vor allem filmische Shakespeare-Adaptionen – umso interessanter für uns, eine authentische Theaterinszenierung zum Vergleich zu erleben.
Das Stück beginnt, und wir sehen den Poncho-Verteiler auf der Bühne: Es ist Mercutio, der uns vom ersten Moment an mit seiner aufgedrehten Art zum Lachen bringt und uns erst einmal die Wetterlage vergessen lässt. Auch Romeos mehrmaliges Ansprechen des Publikums auf Deutsch ist amüsant und lässt uns den aufkommenden Wind ignorieren.
Doch die Wolken werden dicker und offensichtlicher – und ist das Donner? In der Tat! Das Gewitter zieht heran. Auch die Blitze lassen sich nicht mehr als unerwartet aufwendige Spezialeffekte verbuchen. Wir fragen uns, ob das Stück wirklich fortgesetzt wird: Während eines Gewitters draußen sein?! Als der Platzregen einsetzt - ausgerechnet bei Romeos und Julias erstem Kuss! - und wir alle doch recht lärmend die Ponchos überziehen, gehen wir vom Abbruch der Aufführung aus.
Aber sie geht weiter. Obwohl das Gewitter direkt über uns ist und es wie aus Eimern schüttet. Einige Zuschauer fliehen, einige stellen sich unter, wieder andere bleiben sitzen. Wie auch wir unter unseren fest umklammerten Ponchos. Doch die Darstellenden machen unbeirrt weiter, verändern allerdings die eine oder andere Zeile, um die Gegebenheiten des Moments einzubinden. So ergänzt Juliet etwa Romeos romantische Beschreibung ihrer Schönheit, “It is the east, and Juliet is the sun“ mit “and lightning“.
Erst als vor lauter Gewitterkulisse kaum noch etwas von der Bühne zu hören ist, schickt uns Mercutio nach dem zweiten Akt mit dem passenden Ausruf „This is madness!“ in eine zehnminütige Pause. Als es dann kurze Zeit später weitergeht, lassen sich die Schauspielenden nicht von Kälte und Nässe hemmen, binden nur weiterhin den einen oder anderen Verweis auf die wetterbedingte Situation in die Dialoge ein. Auf Benvolios Gesuch “I pray thee, good Mercutio, let’s retire./The day is hot; the Capulets, abroad“ antwortet Mercutio mit “No, it is wet“.
Als das Stück endet, applaudieren wir begeistert, die Schauspielenden auch für uns, weil wir durchgehalten haben. Wir stapeln auf Bitte Mercutios hin die Stühle und machen uns dann nass, aber glücklich, auf den Heimweg.
Ein großes Lob an diese Schauspieltruppe! Es war ein toller Abend - trotz des Gewitters und irgendwie gerade deshalb, weil es für ein wahrlich unvergessliches Theatererlebnis gesorgt hat.
(Wei)
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